Arthur Schnitzler an Hermann Bahr, 26. 6. 1901
mein lieber Hermann, ich danke dir herzlich für den neuen Beweis von Sympathie, den du mir mit deinem lieben Brief vom 22. gegeben hast. Über die Sache selbst ist ja kaum was zu sagen – selten lag ein Fall klarer zu Tage. Wahrhaftig – sie haben meinen Lieutenant Gustl nicht verdient! Ich seh es ein. Hast du vielleicht neulich den Artikel 1 in der Reichswehr gelesen? Ich glaube, in dem steht das großartigste an Dummheit, was in dieser Affaire geleistet wurde. Nemlich: ich hätte meine Charge nur deshalb nicht vor 5 Jahren (wie es mein Recht gewesen) nieder gelegt – , weil ich eben doch gern gelegentlich in Uniform u mit dem Stürmer2 paradirt! – Ich wollte einen Preis von einer Million ausschreiben für den, der mich seit meinem letzten Hauptrapport in Uniform gesehen – aber wer weiss – unter diesen Leuten findet sich am Ende auch einer, der es beschwören kann.
Laß mich bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen, wie sehr es mich freut, dass wir nun beide über die zeitweiligen Entfremdungen hinaus sind, die ja wahrscheinlich bei Naturen wie den unsern entwicklungsphysiologisch bedingt und daher nothwendg sind (du siehst ich bin immer »wissenschaftlich«.) Nun ist das Alter der Missverständnisse wohl endgiltig für uns vorbei und wir sind so weit, dass wir einander – vielleicht auch ein bischen um unserer Fehler willen – Freunde sein und bleiben dürfen.
dein Arthur
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A Wien Theatermuseum HS AM 23344 Ba
eh. Brief, 1 Bl., 4 S.
- Weiterer Druck: Briefe 1875–1912 Hg. Therese Nickl und Heinrich Schnitzler Frankfurt am Main S. Fischer 1981 347–348
- Weiterer Druck: 26. 6. 1901 The Letters of Arthur Schnitzler to Hermann Bahr Edited, annotated, and with an introduction, by Donald G. Daviau Chapel Hill The University of North Carolina Press 1978 68 University of North Carolina studies in the Germanic languages and literatures 89
- Weiterer Druck: Briefe Die Neue Rundschau 1957 68 1 91–92